Pascal Pascal
159
BLOG

Jenseits der EU

Pascal Pascal Polityka Obserwuj notkę 1

german-foreign-policy.com

20.07.2016
BERLIN/NUUK/REYKJAVÍK/TÓRSHAVN
(Eigener Bericht) - Entgegen der krassen Ablehnung des britischen EU-Austritts im Establishment Deutschlands und der anderen EU-Staaten werden in wenig beachteten, strategisch jedoch immer wichtiger werdenden Ländern Nordwesteuropas positive Bewertungen zum "Brexit" laut. Jüngst hat etwa der Präsident Islands Großbritannien eingeladen, in Zukunft enger mit einem "Dreieck aus Nicht-EU-Ländern" im Nordatlantik zu kooperieren. Gemeint sind neben Island Grönland und die Färöer-Inseln, die beide als autonome Gebiete dem Königreich Dänemark angehören. Grönland ist 1982 aus der EG ausgetreten; die Färöer-Inseln haben ihr noch nie angehört; Island hat 2015 einen Beitrittsantrag offiziell zurückgezogen. Alle drei Länder verweigern sich der Stationierung von Atomwaffen und des NATO-Raketenschilds und zeigen sich gegenüber Russland deutlich offener als die meisten Länder des Westens. Die strategische Bedeutung Islands und insbesondere Grönlands nimmt mit der näher rückenden Nutzung der arktischen Seewege und der arktischen Rohstoffe beträchtlich zu. Deutsche Experten haben bereits vorgeschlagen, Grönland zur Abspaltung von Dänemark anzustacheln. Das würde Berlin stärkeren Einfluss auf Grönland und damit auf das politische, ökonomische und militärische Geschehen in der Arktis sichern.
Das Dreieck der Nicht-EU-Länder
Entgegen der krassen Ablehnung des britischen EU-Austritts aus dem Establishment der EU-Staaten werden zum Beispiel in Island positive Äußerungen dazu laut. So lud der isländische Präsident Olafur Ragnar Grimsson Großbritannien ein, sich einem "Dreieck aus Nicht-EU-Ländern" im Nordatlantik anzuschließen. Dieses Dreieck bestehe unter anderem aus Island, Grönland und den Färöer-Inseln.[1] Grimssons Angebot kommt aus einer Region, in der der deutsche Einfluss - auch aufgrund der nicht existierenden Einbindung der betreffenden Länder in die EU - in den vergangenen Jahren im Sinken begriffen ist.
Erster EG-Austritt
Das flächenmäßig größte Land des "Dreiecks der Nicht-EU-Länder" ist Grönland. Es wird von Experten der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) als "Europas Tor zur Arktis" bezeichnet.[2] Das Land ist, obwohl es als autonomes Gebiet zum Königreich Dänemark gehört, nicht mehr Teil der EU - unter anderem aufgrund aggressiven Vorgehens bundesdeutscher Fischer.[3] Im Februar 1980 sorgten illegale Fangaktivitäten von Fischern aus Bremerhaven vor Grönland für einen internationalen Eklat. Die Bremerhavener Fischer wurden festgenommen und zu einer Strafe verurteilt.[4] In Grönland jedoch setzte mit Blick auf die herausragende Bedeutung der Fischindustrie für die eigene Wirtschaft eine Debatte um einen Austritt aus den damaligen Europäischen Gemeinschaften (EG) ein. Bei einem Referendum im Februar 1982 stimmten dann tatsächlich 53 Prozent der grönländischen Wähler für den Austritt aus der EG. Seitdem setzt die deutsche Bundesregierung auf ihre guten Beziehungen zur Regierung in Dänemark, um - etwa im Falle von Aktivitäten in der Arktis - Einfluss in Grönland zu nehmen. Kopenhagen ist auch heute noch für die Außen- und Verteidigungspolitik Grönlands zuständig ist.[5]
Keine Atomwaffen
Im Zuge ihrer neugewonnenen Eigenständigkeit suchten Parlament und Regierung Grönlands nach dem Austritt aus der EG auch nach neuen Formen der internationalen Zusammenarbeit. 1985 gründeten Vertreter der Parlamente von Grönland, Island und den Färöern den "Westnordischen Rat der parlamentarischen Zusammenarbeit", der seit 1997 den kürzeren Namen "Westnordischer Rat" trägt. Damit schufen die drei Länder sich ein gemeinsames Forum für ihre internationalen Beziehungen. Bei einer Sitzung des Rates im Jahr 1986 beschlossen die Abgeordneten, die westnordische Region zur nuklearwaffenfreien Zone zu erklären.[6] Damit stehen sie bis heute in Opposition zur NATO-Atomwaffenpolitik, wie sie auch von der Bundesrepublik mitgetragen wurde und wird. Erst jüngst forderten deutsche Think-Tanks den Ausbau des westlichen Atomwaffenarsenals.[7]
Kein NATO-Raketenschild
Nicht nur in der Frage der Atomwaffen stellen sich die Mitglieder des Dreiecks gegen die von Deutschland mitgetragene NATO-Politik. Im Jahr 1999 lehnte der damalige Premierminister Grönlands, Jonathan Motzfeldt [8], die zu dieser Zeit forcierten US-Pläne für die Errichtung eines Raketenabwehrschildes ab. Die grönländische Regierung erklärte, die notwendigen Ausbauten auf der US-Basis Thule im nordwestlichen Grönland nicht erlauben zu wollen. Motzfeldt wurde damals mit der Einschätzung zitiert, die Errichtung eines Raketenabwehrschildes werde zu einer Atmosphäre ähnlich derjenigen im Kalten Krieg führen - und Grönland wolle "nicht Brennpunkt" in den entsprechenden Auseinandersetzungen werden.[9] Gleichzeitig wandte sich Grönland auch gegen die Ende der 1990er Jahre von Deutschland forcierte Konfrontation gegenüber Russland; 1998 hatten deutsche Stiftungen in der Slowakei die Ablösung einer mit Moskau kooperierenden Regierung unterstützt, 1999 spielte die Bundesrepublik eine maßgebliche Rolle im NATO-Krieg gegen das mit Russland verbündete Jugoslawien. Während die Bundesregierung im Jahr 2007 der Erweiterung des US-Raketenschildes hin zu einem NATO-Raketenschild zustimmte, muss das westliche Kriegsbündnis beim Aufbau dieses Schildes weiterhin auf die Nordflanke im Polarmeer verzichten.
Bessere Beziehungen zu Russland
Grönland ist nicht das einzige Land im Norden, das sich der Aggressionspolitik gegenüber Russland verweigert; auch Island hält sich trotz seiner NATO-Mitgliedschaft Tore nach Moskau offen. Nachdem die NATO-Staaten es nach dem Beginn der weltweiten Finanzkrise 2007 abgelehnt hatten, Island einen Kredit zu gewähren, bat der isländische Premierminister Geir Haarde [10] Russland um einen Kredit über 5,4 Milliarden US-Dollar. Dieser kam dann zwar aufgrund der sinkenden Energiepreise und der auf Russland übergreifenden Wirtschaftskrise nicht zu Stande. Dennoch mussten sich isländische Diplomaten damals harsche Kritik von ihren NATO-Verbündeten anhören.[11]
Präzedenzfall für die EU
Grönland ist zudem nicht das einzige Land im Norden, das sich der EU verweigert. Neben Norwegen, dessen Bevölkerung den Beitritt zur EG bzw. zur EU in zwei Referenden [12] ablehnte, gehört auch Island dem Staatenbund nicht an. Am 12. März 2015 zog die isländische Regierung den Antrag auf einen Beitritt zur EU, den sie im Zuge ihres Kampfes gegen die Bankenkrise hatte stellen müssen, offiziell zurück. Der isländische Außenminister erklärte dazu, den Interessen seines Landes sei außerhalb der EU besser gedient. Island ist der erste Staat, der einen Beitrittsantrag zurückgezogen hat - für das auf Expansion ausgelegte deutsch dominierte Staatenbündnis ein Novum.
Streit um Fangquoten
Eine ähnlich EU-kritische Entwicklung hat auch das kleinste Land des "Dreiecks der Nicht-EU-Länder" Nordeuropas durchgemacht. Auf den Färöer-Inseln, einem autonomen Gebiet innerhalb des Königreichs Dänemark, das wie Grönland nicht der EU angehört, leben nur rund 50.000 Menschen. Bereits 1983 erklärte das Parlament der Inseln das Gebiet für atomwaffenfrei; der Beschluss wurde jedoch damals durch Dänemark kassiert.[13] Noch im vergangenen Jahrzehnt hatte die EU für die politische Elite der Färöer-Inseln eine gewisse Anziehungskraft. Im Jahr 2009 einigten sich die beiden großen Parteien des Landes darauf, unabhängig von Dänemark einen Antrag auf Aufnahme in den Euro-Währungsraum zu stellen.[14] Das Ersuchen blieb jedoch bis heute ohne Antwort. Mittlerweile hat sich das Blatt ohnehin gedreht. Aufgrund von Überfischung durch Färöer-Fischer verhängte die EU im Sommer 2013 Sanktionen gegen die Inseln. Die Maßnahme dürfte enorm zum Ansehensverlust der EU auf den Färöer beigetragen haben. Bereits 2012 schrieb ein Experte der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, die Färöer-Inseln verfolgten in der Frage der Festsetzung der Fangquoten eine "mit einer nachhaltigen Bewirtschaftung unvereinbare" Strategie, die "eine Verletzung internationaler Verpflichtungen [...] der Färöer zur Zusammenarbeit mit anderen Stellen" darstelle.[15] Der Konflikt hat wegen der hohen Bedeutung der Fischerei für die Wirtschaft des Landes für die Inselbevölkerung einen besonderen Stellenwert.
Repräsentationsbüro in Russland
Entsprechend sind nicht nur die Beziehungen zwischen der EU und den Färöer-Inseln abgekühlt; auch hat das autonome Gebiet seine Beziehungen zu Moskau ausgebaut. Nach der Verhängung der EU-Sanktionen gegen Russland und den darauf folgenden russischen Gegensanktionen sind Landwirtschaftsexporte aus den westlichen Staaten in die Russische Föderation stark eingeschränkt worden. Nicht davon betroffen sind die Färöer-Inseln, da sie, wie erwähnt, nicht Mitglied der EU sind. Der Färöer-Premierminister Kaj Leo Holm Johannesen reiste im September 2014 nach Moskau und schloss ein Handelsabkommen mit Russland ab. Die Exporte der Färöer-Inseln nach Russland sind seitdem enorm gestiegen, das Land erlebte einen wirtschaftlichen Boom.[16] Die Färöer unterhalten zudem ein Repräsentationsbüro in Russland; es ist ihre einzige Verbindungsstelle außerhalb von EU und NATO.
Zuckerbrot und Peitsche
In den vergangenen beiden Jahrzehnten hatten deutsche Politiker und Think-Tanks immer wieder mit der Idee gespielt, Grönland und die Färöer zur Abspaltung von Dänemark zu motivieren. Damit sollte der Weg zum Eintritt bzw. Wiedereintritt der beiden Länder in die EU geebnet werden. So schrieben Experten der SWP, die EU sei seit dem Austritt Grönlands "zu einem Vehikel internationaler Anerkennung geworden" Sie solle nun bei "jeder neuen Investition [...] im arktischen Raum [...] Grönland als 'privilegierten Nachbarn' miteinbeziehen" und "das legitime Streben des Landes nach Unabhängigkeit" dabei "nicht nur respektieren, sondern aktiv unterstützen".[17] Spaltete Grönland sich mit deutscher Unterstützung von Dänemark ab, dann gewänne die Bundesregierung in dem Land und damit auch in der strategisch immer wichtiger werdenden Arktis [18] neuen Einfluss. Allerdings deutet gegenwärtig nichts darauf hin, dass dies gelingt.
top print
Pascal
O mnie Pascal

Nie wiem.

Nowości od blogera

Komentarze

Inne tematy w dziale Polityka