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Die Regelung der Reparationsfrage

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19.08.2016
Die Regelung der Reparationsfrage
ATHEN/BERLIN
(Eigener Bericht) - Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras stellt eine neue Initiative zur Erzwingung deutscher Reparations- und Entschädigungszahlungen an Griechenland in Aussicht. Wie Tsipras am Dienstag während der Gedenkfeier für die Opfer eines Wehrmachts-Massakers in dem westgriechischen Dorf Kommeno ankündigte, wird Athen "auf diplomatischer und falls nötig auf gerichtlicher Ebene" gegen Berlin vorgehen, sollte die Bundesregierung sich weiterhin weigern, in Reparationsverhandlungen einzutreten. Anfang September soll das griechische Parlament über einen kürzlich fertiggestellten Bericht diskutieren, der die deutsche Reparationsschuld auf 269 Milliarden Euro beziffert. Behauptungen der Bundesregierung, die Reparationsfrage sei "erledigt", treffen nicht zu: Tatsächlich ist die Zahlung einer 1946 verbindlich anerkannten Reparationssumme mit dem Londoner Schuldenabkommen vom Februar 1953 zwar gestundet, aber nicht aufgehoben worden; nur ein Bruchteil von ihr wurde beglichen. Wie Horst Teltschik, ein ehemaliger Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl, bestätigt, hat Bonn sich der Reparationspflicht zu entziehen versucht, indem es den Zwei-plus-Vier-Vertrag explizit nicht als "Friedensvertrag" einstufte. Man habe befürchtet, mit einem Friedensvertrag plötzlich "Reparationsforderungen von über 50 Staaten auf dem Tisch" zu haben, erklärt Teltschik.
Falls nötig, gerichtlich
Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras kündigt eine neue Initiative zur Erzwingung deutscher Reparations- und Entschädigungszahlungen für Verbrechen aus der Zeit der deutschen Besetzung Griechenlands im Zweiten Weltkrieg an. Anlässlich einer Gedenkfeier für die Opfer des Wehrmachts-Massakers in dem westgriechischen Dorf Kommeno am 16. August 1943, bei dem binnen weniger Stunden 317 wehrlose Zivilisten im Alter von einem bis 90 Jahren aus dem Schlaf gerissen und ermordet wurden, bekräftigte Tsipras am Dienstag, seine Regierung werde "alles Notwendige" tun, um Entschädigungen durchzusetzen - "auf diplomatischer und falls nötig auf gerichtlicher Ebene".[1] Zum ersten Male habe man dazu eine "nationale Strategie", erklärte der Ministerpräsident mit Bezug auf einen Ende Juli fertiggestellten Abschlussbericht eines griechischen Parlamentsausschusses, der sich mit Reparations- und Entschädigungsfragen befasst und Anfang September offiziell im Parlament diskutiert werden soll.
269 Milliarden Euro
Der Abschlussbericht des Ausschusses listet zum einen die bis heute offenen Ansprüche auf Reparationen und Entschädigungen auf. Demnach kann Athen "Reparationen für materielle Kriegsschäden und beschlagnahmte Waren" beanspruchen, darüber hinaus die Rückzahlung einer Zwangsanleihe, die die deutschen Besatzer Griechenland abpressten, außerdem Entschädigungen für Opfer deutscher Kriegsverbrechen und ihre Angehörigen; nicht zuletzt wird auch "die Rückführung Hunderter entwendeter archäologischer Artefakte" verlangt.[2] Die Entschädigungsansprüche von Privatpersonen beliefen sich bereits "auf mehr als 107 Milliarden Euro ohne Zinsen", heißt es; die Bundesrepublik schulde Griechenland zudem bis heute 9,2 Milliarden Euro an Reparationen aus dem Ersten Weltkrieg. Der heutige Wert der damaligen NS-Zwangsanleihe wird gewöhnlich auf etwas mehr als 10,3 Milliarden Euro beziffert. Insgesamt ergeben sich dem Parlamentsausschuss zufolge Reparations- und Entschädigungszahlungen in Höhe von 269 Milliarden Euro.
Nach Den Haag und vor die UNO
Ergänzend enthält der Abschlussbericht Handlungsvorschläge für die griechische Regierung. Den Verfassern zufolge soll zunächst eine griechische Parlamentarierdelegation die Abgeordneten im Bundestag und in den Parlamenten anderer Staaten über die Ansprüche informieren. Die Athener Regierung solle Berlin in einer Verbalnote zu Verhandlungen auffordern, heißt es. Zudem sei das Europaparlament einzuschalten; die Auseinandersetzung könne auch vor die Vereinten Nationen gebracht werden.[3] Bleibe die Bundesregierung uneinsichtig, dann müsse der Rechtsweg eingeschlagen und der Internationale Gerichtshof in Den Haag eingeschaltet werden. Auch müsse Athen die Möglichkeit in Betracht ziehen, bereits bestehende Urteile griechischer Gerichte durch die Beschlagnahme deutscher Liegenschaften in Griechenland umzusetzen. Die griechische Justiz hat überlebenden Opfern deutscher Kriegsverbrechen in Distomo, Egio und Rethymno im Grundsatz Entschädigungen zugesprochen, kann die Realisierung ihrer Urteile allerdings nicht erzwingen; als einzige Möglichkeit dazu gilt die Übernahme etwa des Athener Goethe-Instituts in griechischen Besitz, um die Opfer aus dem Erlös zu entschädigen. Unter massivem politischem Druck aus Deutschland hat die griechische Regierung dies bislang unterlassen.
Berlins Doppelstrategie
Die Bundesregierung reagiert seit geraumer Zeit mit einer Art Doppelstrategie auf Athener Reparationsforderungen. Zum einen behauptet sie bis heute, es gebe keinerlei rechtliche Grundlage für Reparationen; das Thema habe sich "erledigt". Zum anderen bietet sie Griechenland billige Zugeständnisse an, die dem Reservoir der auswärtigen Kulturpolitik entnommen sind und jede weitere Forderung nach Reparationen ersticken sollen. So bewirbt die Regierung etwa den Deutsch-Griechischen Zukunftsfonds, der am 12. September 2014 bei einem Besuch des damaligen griechischen Präsidenten Karolos Papoulias seine Arbeit aufgenommen hat und offiziell "der Versöhnung und der historischen Aufarbeitung zwischen Deutschland und Griechenland dienen" soll.[4] Er kostet nicht 269 Milliarden Euro, sondern nur jährlich eine Million - Geld, das nur zum geringsten Teil den Opfern und ihren Nachfahren zugute kommt, aber mit ausgewählten Geschichtsprojekten den Eindruck erwecken soll, es gebe endlich eine umfassende Beschäftigung mit der deutschen Verbrechensgeschichte. Projekte dieser Art werden gewöhnlich im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik abgewickelt. Sie haben nicht nur das Ziel, Imagewerbung für ein angeblich "nachdenkliches" Deutschland zu betreiben; vor allem sollen sie den anhaltenden Reparationsforderungen den Wind aus den Segeln nehmen - zu Lasten der NS-Opfer.
Bestätigt, dann aufgeschoben
Auf eine Schwächung der Reparationsforderungen legt Berlin besonderen Wert, weil sie entgegen den offiziellen deutschen Darstellungen völkerrechtlich weiterhin aktuell sind. Die prinzipielle Notwendigkeit von Reparationen wurde im Februar 1945 auf der Konferenz von Jalta bestätigt; erste allgemeine Grundzüge wurden im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 festgelegt. Zu ihrer Konkretisierung wurden am 9. November 1945 in Paris Verhandlungen gestartet, in deren Verlauf griechische Reparationsansprüche in Höhe von 7,1 Milliarden US-Dollar auf Basis der Kaufkraft von 1938 bestätigt wurden. Selbst ohne Zinsen beliefe der Betrag sich in heutiger Währung auf ein Vielfaches; Experten schätzten ihn für das Jahr 2010 auf rund 106,5 Milliarden US-Dollar.[5] Im Pariser Reparationsabkommen vom 14. Januar 1946 wurde Griechenland ein bestimmter Anteil der damals in Deutschland zur Verfügung stehenden Reparationsmasse zugeteilt. Tatsächlich erhielt Athen damals Sachleistungen, deren Wert mit gerade einmal 25 Millionen US-Dollar beziffert wird.[6] Nach der Unterzeichnung des Londoner Schuldenabkommens am 27. Februar 1953 verweigerte Bonn dann die Zahlung von Reparationen komplett: Das Abkommen stundete der Bundesrepublik die Reparationen auf unbestimmte Zeit. Allerdings sah es auch ausdrücklich eine künftige "endgültige[...] Regelung der Reparationsfrage" vor.
Forderungen von 50 Staaten
Die gesamte Zeit des Kalten Kriegs hindurch hat die Bundesrepublik Reparationen mit Verweis auf das Londoner Schuldenabkommen zurückgewiesen und erklärt, man könne erst zum Zeitpunkt der "Wiedervereinigung" mit der DDR und beim damit verbundenen Abschluss eines Friedensvertrages über sie verhandeln. Den Zwei-plus-Vier-Vertrag, der am 12. September 1990 unterzeichnet wurde, stufte Bonn dann bewusst nicht als Friedensvertrag ein - "nicht zuletzt wegen der Gefahr von Reparationsforderungen", wie Horst Teltschik, damaliger Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl, im März 2015 erläuterte. Reparationen könne "ja nicht nur Griechenland" verlangen: "Bekanntlich war das Nazi-Regime mit über 50 Ländern dieser Welt im Kriegszustand. ... Stellen Sie sich vor, wir hätten im Rahmen eines Friedensvertrages Reparationsforderungen von über 50 Staaten auf dem Tisch gehabt."[7] Das habe man vermeiden wollen. Allerdings hat Bonn damit zugleich die "endgültige[...] Regelung der Reparationsfrage", die im Londoner Schuldenabkommen vorgesehen und von der Bundesregierung jahrzehntelang mit einem förmlichen Friedensvertrag verknüpft worden war, lediglich weiter in die Zukunft verschoben. Sie käme, setzte die griechische Regierung die Ankündigung von Ministerpräsident Tsipras um, jetzt auf die Tagesordnung.
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